Bei diesem Thema musste ich schon schmunzeln, dass ausgerechnet ich über Askese schreiben soll, wo ich doch eher die Fülle lebe, „eine Hand in Öl, eine Hand in Honig“, wie man in der Türkei sagt… aber vielleicht gerade deswegen ist es gut, mich damit auseinander zu setzen.
Das „Keep-up-Prinzip“
Was hat Yoga mit Askese zu tun? Bereits in den Upanischaden spielt „Tapas“ (Bedeutung im Sanskrit: „Hitze“ oder „Glut“) im Sinne von Askese eine wichtige Rolle. Im „Achtgliedrigen Pfad“ (Ashtanga Marga) von Patanjali ist Tapas ein Punkt bei den Niyamas, den Empfehlungen im Umgang mit sich selbst und zur Lebensführung. Die anderen Punkte sind Shauca- Reinheit, Santosha-Zufriedenheit, Svadhyaya-Selbstreflexion, Ishvara Pranidhana- Vertrauen und Hingabe an Gott. Mit Tapas ist das innere Feuer gemeint, dass uns antreibt, um diszipliniert und mit Ausdauer an Übungen dranzubleiben, auch wenn es anstrengend und unangenehm wird, sozusagen das „Keep up- Prinzip“ Yogi Bhajans. Bei dieser Art der Askese geht es nicht um extreme Enthaltsamkeit, Kasteiung und Praktiken, die auf den Körper zerstörerisch wirken, sondern Bemühungen, die die spirituelle Praxis unterstützen. Hierzu könnte man kaltes Duschen, zeitlich begrenztes Fasten (einmal die Woche oder Diäten wie die Grüne Diät), tägliche Sadhana oder das Üben einer Meditation oder Kriya für 40 Tage zählen.
Zwischen den Polen
Das Sinnbild von extremer Askese ist für mich der asketische Buddha, wie er bis auf ein Skelett abgemagert dargestellt wird. Er ernährte sich ausschließlich von Samen und Gras und soll nur ein Reiskorn am Tag zu sich genommen haben, so die Legende. Kurz vor dem Hungertod merkte er schließlich, dass ihn dies nicht zur Erleuchtung brachte und lehrte ab diesem Zeitpunkt den „mittleren Weg“ zwischen Askese und Luxus. Genau das Gegenteil, nämlich die Fülle verkörpert der Budai, der sog. Glücksbuddha, dickbäuchig und lachend, sehr beliebt in China und Japan als Symbol für Zufriedenheit und Wohlstand. Wo aber stehen wir als Yoginis und Yogis zwischen diesen Polen?
In die Erfahrung kommen
Kundalini-Yoga ist für Menschen gedacht, die mitten im Leben stehen, arbeiten, Kinder groß ziehen und Familien haben. Die Praxis soll mit diesem Leben vereinbar sein, daher ist eine asketische Lebensweise ohnehin nicht angesagt. Eine gewissen Disziplin ist aber vor allem am Anfang des Weges durchaus sinnvoll, wenn man ins Spüren und in die Erfahrung kommen möchte. Wie fühlt es sich an, wenn ich tatsächlich um 5 Uhr aufstehe, kalt duschen und mich auf die Matte begebe? Was macht eine Meditation mit mir, wenn ich sie 11 Minuten durchhalte, auch wenn ich meine, die Arme nicht mehr spüren zu können? Was passiert in meinem Körper und mit meiner Psyche, wenn ich mich darauf einlasse?
Natürlich kommt es vor, dass einige Yoga- Jünger:innen starken Ehrgeiz entwickeln, jede Kriya, jede Empfehlung zur Lebensführung wörtlich nehmen und eine strenge, ja dogmatische Haltung an den Tag legen. Da kommt meines Erachtens das Ego ins Spiel, denn ist es nicht der Mind, der denkende Verstand, der etwas erreichen will, sich Ziele setzt und sich als Richter aufspielt und genau beurteilt, was richtig und falsch ist? Daher ist es wichtig, sich genau zu beobachten und ehrlich zu sein über die eigene Motivation. So wie in dem Cartoon: sagt die Frau mit Matte unter dem Arm „Ich sag Dir, Yoga macht einen neuen Menschen aus Dir!“, denkt er „Hauptsache ich gewinne!“…
Bei übertriebenem Eifer in der Yogapraxis und harter Disziplin frage ich mich ohnehin, wie es um „Ahimsa“, Gewaltlosigkeit, steht, einer der Yamas im „Achtgliedrigen Pfad, den Verhaltensvorschlägen zum Handeln in der Welt.
Ahimsa in Tat, Wort und Gedanken
„Ahimsa“ meint, liebevoll und rücksichtsvoll mit sich und anderen, mit allen Lebewesen umzugehen. Und dies nicht nur in Taten, auch in Gedanken und Worten. Das bedeutet, dass wir auch mit unserem Körper bewusst umgehen, seine Grenzen und Möglichkeiten respektieren und uns vor allem nicht mit anderen (besseren) Yogis vergleichen sollten.
Wir können uns immer wieder erneut fragen, „Was will ich? Um was geht es mir? Was brauche ich gerade in diesem Moment?“. Ziel aller körperlichen Übungen, Pranayama, Mantra-Wiederholungen usw. ist es, den denkenden Geist zu beruhigen, innere Stille und die Einheit mit dem Selbst, dem Seelenanteil zu erfahren. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie Werkzeuge sind und nicht das Ziel. Gelingt es mir, den meditativen Geist, die Stille, die immer da ist, in mir zu kultivieren? Wenn nicht, dann benutze ich diese effektiven Werkzeuge, wie ich sie benötige. Wenn ja, wunderbar, dann bin ich angekommen… Sat Nam!
von Yasemin Tuna-Nörling
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