Wer kennt sie nicht: diese zauberhafte Pflanze, die im Winter aus einer Zwiebel heraus wächst und in der tristen Jahreszeit mit Farbreichtum und edler Form beschenkt. Fachleute wissen, wann und wie man gießt und diese Zwiebel lagert, damit sie möglichst pünktlich zu Weihnachten ihre Blüten öffnet. Da nicht jeder mit dem Wissen und der Gabe des Feingefühls für die Botanik der Amaryllis ausgestattet ist, bleibt es doch mehr oft als wünschenswert dem Zufall überlassen, ob aus einer nicht wirklich spektakulär aussehenden Zwiebel, die vielleicht vom Weihnachten des Vorjahres übrig geblieben ist, das Wunder erneut wächst. Der Zufall oder besser gesagt das Wunder scheint- zumindest im Ansatz - etwas mit Loslassen und dem Überlassen an die Naturkräfte zu tun zu haben. So hat es sich ganz unerwartet gerade jetzt ergeben, dass sich aus einer fast schon aufgegebenen Amaryllis-Zwiebel, die auf dem Dachboden des Yogazentrums lagerte und mehr zufällig als bewusst gegossen wurde, ein kräftig hellgrüner Trieb seinen Weg ans Licht bahnte. Welch eindrucksvolles Symbol dafür, dass während einem düsteren Winter und dem gefühlt unendlich andauernden Lockdown, Leben und Lebendigkeit da sind, auch wenn sie ruhen – nicht verloren oder vergessen sind, sondern geduldig auf den richtigen Zeitpunkt warten, um sich wieder in der Form auszudrücken. Ganz ohne Lärm und Mühe findet das Lebendige seinen Weg zurück. Nichts und Niemand scheint diesen Trieb in seinem Wachstum aufhalten zu können.
Sicht- und fühlbar meldet sich unaufhaltsam der Übergang zu einer anderen Phase an. Die Corona-Zeit hat uns mehr als gewünscht auf die inneren Welten und Wahrnehmungsräume zurück geworfen. Auch wenn sicherlich noch einiges durchzustehen ist und viele Situationen zu verarbeiten sind, so lädt der plötzlich vor der Türe stehende Gast-Frühling dazu ein, den Neubeginn zu begrüßen mit Freude auf das, was in dieser kraftvollen Zeit wachsen möchte. Statt den Fokus auf das zu richten, was nicht funktioniert und nicht da ist, die eigene Wahrnehmung vertrauensvoll auf die Naturkräfte auszurichten und auf das, was nun blühen möchte und was das Herz erfreut.
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