Nun ist die Diskussion über „kulturelle Aneignung“ auch beim Yoga angekommen und stellt in Frage, ob wir guten Gewissens Yoga praktizieren dürfen. Das Thema ist komplex und vielfältig. Die britische Kolonialmacht hat Yogapraktiken nicht gefördert, möglicherweise auch hier und da unterbunden. Es waren allerdings nicht die Kolonialherren, die sich Yoga angeeignet und es später im Westen verbreitet haben, sondern indische Meister, man denke da an Paramahamsa Yogananda, der schon zu Beginn des 20. Jhs. in die USA reiste, und später Yogi Bhajan, Bikram, die ihm folgten, oder an große Gurus wie Sri Auribindo oder Shivananda, später auch Desikachar und Iyengar, die zahlreichen westlichen Schülern ganz unterschiedliche Formen des Yoga vermittelten und diese ermunterten, die Lehren in Europa und Amerika zu verbreiten. Ich glaube daher, dass wir hier nicht von einer unerlaubten Aneignung sprechen können.
Aber wo fängt kulturelle Aneignung überhaupt an, wo hört sie auf? Geht man zurück in die Geschichte der Menschheit, wird man feststellen, dass der Austausch von Wissen und Technik die Basis jeden kulturellen Fortschritts bildet. Man lernte von anderen Stämmen oder Völkern, wie man Werkzeuge herstellte, Metall schmiedete, Musikinstrumente baute oder Kunstwerke schuf, der Handel brachte immer neue Waren und Ideen in entlegene Gegenden. Die Neugierde des Menschen hat ihn zu einem Lernenden gemacht. Wenn wir alles über die Jahrtausende von anderen Kulturen übernommene auf einmal nicht mehr verwenden wollen, wird es sehr sehr eng: ich denke an Mathematik (arabische Zahlen!), Philosophie, Medizin, Architektur… und unter welchen Umständen der Wissenstransfer geschah, lässt sich in vielen Fällen gar nicht mehr rekonstruieren. Profitieren tun wir aber alle im Kollektiv.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass Yoga in all seiner Vielfalt zu uns in den Westen gekommen ist und dass wir damit Körper, Geist und Seele erforschen und heilen können!
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