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Wer weiß schon, wann der Moment kommt...

„Ich starb als Mineral und wurde Pflanze, Ich starb als Pflanze und wurde Tier, Ich starb als Tier und wurde Mensch. Warum soll ich mich fürchten? Wann wurd ich weniger durch einen Tod? Noch einmal werd ich sterben als ein Mensch, Nur um dann aufzusteigen mit der Engel Segen. Doch auch vom Engelsdasein muss ich weitergehen …“ (Auszug aus dem Mathnawi von Rumi)


Tod und Trauer gehen Hand in Hand. Einen geliebten Menschen zu verlieren oder mit dem eigenen Tod konfrontiert zu sein, kann uns in tiefe Trauer stürzen, in Verzweiflung und Hilflosigkeit, die im ersten Moment vielleicht kaum auszuhalten ist. Nach Elisabeth Kübler-Ross, eine der bekanntesten Sterbeforscherinnen, können fünf Phasen für den Prozess des Sterbens und des Trauerns unterschieden werden: Leugnen, Wut, Feilschen und Verhandeln, Depression und Annahme. Sicherlich erleben Menschen diese Phasen individuell unterschiedlich, auch wird das Erleben bei der Trauer um einen Nahestehenden anders sein als bei dem eigenen bevorstehenden Tod.

Was die Gefühle betrifft, überwiegt beim Verlust eines Nahestehenden die Traurigkeit, der Schmerz, oder die Leere, wenn wir im ersten Schockzustand gar nichts empfinden können. Bei dem eigenen Tod ist neben der Trauer, die Angst wohl dominierend, nicht nur vor Schmerzen und Qualen, vor allem vor dem Unbekannten, dem Ende, vielleicht aber auch Reue über Taten und Worte, getan oder ungetan, gesagt oder ungesagt.

Als Yogalehrerin bin ich überzeugt davon, dass ich ein spirituelles Wesen bin, das eine irdische Erfahrung macht, und mein Seelenanteil (Atman) den Körper verlässt, wenn die Zeit kommt, um wieder zu inkarnieren bzw. sich mit Brahman, dem Einen, wieder zu vereinigen. Im Hinduismus, Sikhismus und Buddhismus spielt Reinkarnation eine zentrale Rolle, aber auch den mystischen Traditionen des Judentums und des Islams, der Kabbala und des Sufismus, ist diese Vorstellung nicht fremd, s. das Gedicht von Rumi. Bei den indischen Religionen kommt die Karma-Lehre hinzu, das Prinzip von Ursache und Wirkung, demnach jede Handlung eine Folge hat, in diesem Leben oder im nächsten. Die Karma-Lehre ist eng verknüpft mit dem Glauben an Samsara, dem Kreislauf der Wiedergeburten, der als leidvoll angesehen wird und das Ziel ist, daraus erlöst zu werden, Mokscha bzw. Nirwana zu erreichen. Dies kann durch das Loslassen von Begierden und Anhaftungen (des Egos), auch an das Leben, und durch Erkenntnis geschehen. Gelingt das, „stirbt man, bevor man stirbt“, man löst sich von seiner Ich- Identität und wird eins mit allem, was ist.

Aus der Perspektive der Gewaltfreien Kommunikation geht es mir darum, herauszufinden, ob Menschen mit dieser Weltanschauung den Tod anders erleben, ob die Gefühle und Bedürfnisse sich möglicherweise verschieben.

Das dies so sein kann zeigt der Journalist Tiziano Terzani, in seinem letzten Buch „Das Ende ist mein Anfang“, ein Zwiegespräch mit seinem Sohn Folco am Ende seiner langen Krebskrankheit. Nach seiner Diagnose hatte er sich in den Himalaya zurückgezogen, einen spirituellen Lehrer gefunden, viel meditiert und eine tiefgehende Transformation erlebt, durch die er immerhin noch einige Jahre wider der ärztlichen Prognosen leben durfte. Als sein Ende naht, meint er „Deshalb gehe ich zu dieser Verabredung – als eine solche empfinde ich das, und ich möchte sie nicht verpassen, denn ich habe mich sozusagen schon festlich dafür gekleidet – unbeschwert und mit einer geradezu journalistischen Neugier."[1], selbst wenn man ihm eine neues Mittel anböte mit dem er weitere zehn Jahre leben könnte, würde er ablehnen. “Wozu denn? Um all das zu tun, was ich bereits getan habe? Ich bin im Himalaja gewesen und habe mich darauf vorbereitet, auf den großen Ozean des Friedens hinauszusegeln. Warum sollte ich mich da noch einmal in ein Bötchen setzen, um am Ufer entlang zu schippern und zu angeln? Das interessiert mich einfach nicht mehr.“[2]

In seinem Buch „Der Tod ist ganz ungefährlich“ stellt der buddhistische Lehrer, Arzt und Sterbebegleiter Wilfried Reuter Alter, Krankheit und Tod als Götterboten vor, die als Lotsen uns dazu bringen können, in die Tiefe, nach innen zu gehen und uns mit ihnen auseinanderzusetzen, ja, sie anzunehmen.[3] Auf die Frage, welche Menschen keine Angst vor dem Tod hätten, soll Buddha geantwortet haben, „diejenigen, die frei von Gier, Durst und Verlangen seien, die gelernt hätten gleichmütig und losgelöst ihren Körper zu betrachten, die die Tugendregeln praktizieren sowie Urvertrauen und Klarheit im Dharma[4] gewonnen hätten, frei von Angst seien, wenn der Tod zu ihnen kommt“. Wenn es gelingt, das persönliche Ich hinter sich zu lassen, kann nach Reuter der Todesprozess ein über sich selbst hinaus wachsen, ein Erwachen werden. „Das Durchschauen der Vergänglichkeit ist der Weg zum Erleben der Unvergänglichkeit.“[5]

Es bedarf natürlich einer regelmäßigen (Meditations-)Praxis und innerer Arbeit, um seine Schatten anzuschauen, anzunehmen und zu transformieren, um zum Zeitpunkt des Todes angstfrei, im Vertrauen und gelassen, vor allem mit stillem Geist gegenwärtig zu sein. Es empfiehlt sich, mit der Praxis zeitig anzufangen, denn wer weiß schon, wann der Moment kommt?

[1] Tiziano Terzani, Das Ende ist mein Anfang, Hrsg. Folco Terzani, 2006, S.16 [2] Ebd. S. 22 [3][3] Wilfried Reuter, Der Tod ist ganz ungefährlich. Buddhistische Hilfen im Umgang mit Alter, Krankheit und Tod, 2019, S.12-13 [4] Kosmisches Gesetz oder universelle Ordnung [5] Ebd. 210


erschienen in: Empathische Zeit. Magazin für Konfliktlösung und sozialen Wandel durch Gewaltfreie Kommunikation, Ausgabe 4/2022, S. 52


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